Das ewige Märchen vom Kompressor als Dynamikbegrenzer Antwo

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n.d.escher
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Das ewige Märchen vom Kompressor als Dynamikbegrenzer Antwo

Beitrag von n.d.escher »

Guten Tag
Ich habe gerade den Artikel über Kompression in der letzten Ausgabe von Sound und Recording gelesen: und da steht schon wieder das, was man überall in Beschreibungen/Definitionen von Kompressoren lesen kann: ich fasse einmal die Hauptaussagen des Artikels und andere Bücher wie z.B. Mixingworkshop Handbuch der Tonstudiotechnik, Effekte und Dynamiks usw zusammen

Dort werden Kompressoren und ihre Wirkungsweise immer wie folgt beschrieben:

Ein Kompressor ist ein Dynamikbegrenzer. Er macht leise Stellen lauter und laute Stellen leiser. Er hilft Übersteuerungen zu vermeiden. Der Pegelverlauf ist kontinuierlicher. Es ergibt sich ein verdichteter Sound. Er hilft dass sich Einzelstimmen im Mix besser durchsetzen usw.
Genau dass habe ich bisher noch nie verstanden und verstehe es auch bis jetzt nicht, zumal gerade in der selben Ausgabe von Sound und Recording sich ein wunderbarer Gegenbeweis finden lässt.
Damit genau diese ganzen Aussagen stimmen, bräuchte ich doch einen Kompressor mit extrem kurzen Attack und Release Zeiten und hoher Ratio. Also einen Limiter. Aber ein Kompressor kann die oben beschriebenen Effekte nie und nimmer erzeugen. Warum hält sich dieses Märchen immer noch und es ist auch kein Ende in Sicht?
Wenn ich den Attack eines Snareschlages so abfangen will, dass Übersteuerung vermieden werden und die Dynamik verdichtet werden soll, brauche ich eine Attackzeit die so kurz ist, dass der Kompressor auch wirklich arbeitet wenn der Attack der Snare da ist, nämlich ganz, ganz am Anfang. Wenn der Attack des Sanreschlages rum ist beginnt die Ausschwingphase des Snaresound und damit also die leise Passage des Sounds wenn der aber lauter werden soll muss die Releasezeit auch extrem kurz sein, damit der Kompressor unmittelbar nach dem Attack des Snareschlages seine Arbeit sofort wieder einstellt. Wenn wir eine Release von etwa 200-300 ms nehmen, eine Zeitspanne die sich in fast allen typischen Kompressorpresets findet, arbeitet der Kompressor also noch recht lange in der leisen Passage des Snaresounds und macht in damit ja noch leiser und nicht lauter.

Dass mich bitte keiner falsch versteht: Auch ich nutze ständig ausgiebig und oft Kompressoren aber mich stört sehr diese immer wieder falsche Beschreibung von Kompressoren.
Der Kompressor ist ein tolles Toll um Sounds und Klänge zu formen, aber er ist mit Sicherheit kein Dynamikbegrenzer, da er die Dynamik fast immer erweitert und nicht verringert.

Alle typischen Aussagen über Kompressoren stimmen meiner Meinung nach fast immer nur für Limiter und nicht für Kompressoren.

Wer will kann gerne selbst nach schauen Sound & Recording Ausgabe 8.06 Seite 79.
Da werden zwei Bildchen gezeigt über einen Sound ohne und einen mit benutzem LA2A Kompressor. Nun sagt mir bitte welches der drei Soundbeispiele mehr Dynamik hat.
Bild
(Sorry für die schlechte Qualität)

Aufgrund des Dynamikverlaufs müsste ich ja davon ausgehen, dass das obereste Bild mit Komp und unten die beiden ohne wären, dabei ist es genau umgekehrt.

Hier auch noch ein eigenes Beispiel einmal eine Bassgitarre ganz clean direkt in die DAW aufgenommen und genau das selbe Signal durch einen Aphex 661 Compressor. Welches der beiden Beispiele hat mehr Dynamik?
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Grüße und Danke für eure Antwort.
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alexander
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Beitrag von alexander »

hello. das missverstaendnis ist folgendermassen gelagert: du betrachtest nur einen einzelnen ton. wenn man einen kompressor mit langsamer attack verwendet kann dadurch schon der eindruck entstehen dass die dynamik groesser wird, deine aussage stimmt bezogen auf einzelne toene auch, aber wenn du dir ein paar takte ansiehst die toene mit unterschiedlicher lautstaerke aufweisen wirst du feststellen dass die dynamik des signals insgesamt verringert wird, obwohl jeder einzelne ton eine staerkere attack bekommen hat. der kompressor hat also auch eine klangformende funktion, speziell bezogen auf die attack/transienten.

dass man um die dynamik zu verringern unbedingt einen kompressor mit hoher ration braucht stimmt allerdings nicht. und ein kompressor mit ner kurzen attack alleine ist noch kein limiter. der limiter ist eigentlich auch ein kompressor, nur eine spezielle version davon, deine beschreibung mit schneller attack und hoher ration ist allerdings wieder korrekt.

insgesamt betrachtest du also die funktion des kompressors als klangformendes element speziell bezogen auf die attack. die allgemeinen beschreibungen der funktion des kompressors bezieht sich allerdings auf die wirkung des kompressors bezogen auf groessere zeitraeume und ist dafuer auch korrekt.

hth,
lg...
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Re: Das ewige Märchen vom Kompressor als Dynamikbegrenzer An

Beitrag von hr.biegr »

n.d.escher hat geschrieben: Wer will kann gerne selbst nach schauen Sound & Recording Ausgabe 8.06 Seite 79.
Da werden zwei Bildchen gezeigt über einen Sound ohne und einen mit benutzem LA2A Kompressor. Nun sagt mir bitte welches der drei Soundbeispiele mehr Dynamik hat.
Bild
(Sorry für die schlechte Qualität)

Aufgrund des Dynamikverlaufs müsste ich ja davon ausgehen, dass das obereste Bild mit Komp und unten die beiden ohne wären, dabei ist es genau umgekehrt.

lustig, dass du das ansprichst! ;)

der artikel (und folglich auch die screenswhots und audiobeispiele) sind ja von mir. und ich hab mich tatsächlich gefragt, wem das wohl auffällt, dass die la-2a-spur die krassesten transienten hat.

im prinzip hast du ja auch recht was die verwendung von kompressoren als klang- und natürlich auch groove-formende geräte betrifft.
gerade wegen diesem klangformenden aspekt stehe ich z.b. auch eher auf bestimmte hardware-kompressoren.

nur gilt es natürlich eines zu beachten: obwohl (wie man in dem la-2a-beispiel sehr schön sehen kann) die transienten durch die relativ lange attackzeit des gerätes hervorgehoben werden, fungiert das gerät über ganze passagen gesehen trotzdem super gut als leveler, sprich die vocal-phrasen werden im pegel trotzdem angeglichen und sitzen besser im mix.

deine anmerkung finde ich im kern sehr richtig, nur geht deine "kritik" nach meinem ermessen etwas weit. im prinzip habt ihr beide recht bzw. die "wahrheit" liegt in der mitte...
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SysKill
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Beitrag von SysKill »

hr.bieger schrieb:
und ich hab mich tatsächlich gefragt, wem das wohl auffällt, dass die la-2a-spur die krassesten transienten hat.
Mir. Ehrlich jetzt. Ich dachte nur, ich kapier wieder irgendwas nicht :). Interessanter Thread übrigens. Eigentlich sind Kompressoren ja ganz einfache Physik, doch reagiert die Pegelanzeige bei mir oft vollkommen anders, als ich es anhand der Einstellungen am jeweiligen Kompressor erwarten würde. Daher erziele ich die für mich besten Ergebnisse nicht durch eine analytisch-technische herangehensweise, sondern durch "an den Knöpfchen spielen."
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alexander
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Beitrag von alexander »

SysKill hat geschrieben:Daher erziele ich die für mich besten Ergebnisse nicht durch eine analytisch-technische herangehensweise, sondern durch "an den Knöpfchen spielen."
das sehe ich ueberhaupt nicht. muss einem doch klar sein dass die attack fuer die ersten 50 ms voll durchknallt wenn man den attack parameter auf 50ms stellt...aber die herangehensweisen sind natuerlich unterschiedlich...
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SysKill
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Beitrag von SysKill »

alexander schrieb:
das sehe ich ueberhaupt nicht. muss einem doch klar sein dass die attack fuer die ersten 50 ms voll durchknallt wenn man den attack parameter auf 50ms stellt...
Ist mir auch klar. Dennoch kommt es mir so vor, dass bei mir bei der Bedienung von Kompressoren die Diskrepanz zwischen theoretischem technischem Wissen und dem Ergebnis der praktischen Umsetzung oftmals größer ist, als bei den meißten anderen technischen Instrumenten, so dass ich noch sehr viel "frei" rumfummeln muss, um zum gewünschten Ergebnis zu gelangen.
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JonnySun
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Beitrag von JonnySun »

alexander hat geschrieben:
das sehe ich ueberhaupt nicht. muss einem doch klar sein dass die attack fuer die ersten 50 ms voll durchknallt wenn man den attack parameter auf 50ms stellt...aber die herangehensweisen sind natuerlich unterschiedlich...
Das hängt dann aber auch von der Kurve ab, ob und wie die "ersten 50 Millisekunden voll durchknallen". Viele Kompressoren beginnen ja schon unterhalb des Thresholds mit ihrer Arbeit. Deshalb ist der Hinweis von Syskill, dass er sich nicht ganz auf die beim Kompressor angezeigten Werte blind verlassen kann und die eigentliche Regelarbeit erst nach einigen Justierungsversuchen zur vollen Zufriedenheit beendet ist, vollkommen realitätsnah.
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mollybär

Beitrag von mollybär »

Ganz ruhig, ruhig durchatmen 8)



Der Name Compressor lässt sich von engl. to compress gleich "zusammendrücken" ableiten. Und in der Tat drückt der Kompressor das Audiomaterial zusammen. In anderen Worten: er begrenzt die Dynamik.
Der Kasus knacksus ist aber, dass er das nur in dem Bereich tut, in dem er auch arbeitet. Und wo arbeitet ein Kompressor ?

zum ersten zeitlich ab dem Zeitpunkt, der durch die Attackzeit vorgegeben ist
zum zweiten ab der Lautstärke, die durch die Schwelle (Threshold) vorgegeben ist.

Durch die Bearbeitung wird das Signal dichter gemacht, aber zunächst auch leiser. Um das Geamtsignal dichter und "lauter" zu machen, muss das bearbeitete Signal dann entsprechend angehoben werden.
flowfy
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Beitrag von flowfy »

kompressoren wie der 1176 + la2a sind doch programmabhängig, also vom eingangssignal her. da hilft einem die anzeige meist gar nichts! ich verlass mich nur auf meine ohren, drehe solange rum, bis es klingt! oben ging es ja um den transientenpeak bei den unterschiedlichen la2as. auch da ist hören besser als wellenformen vergleichen. kann ja sein, das eine wellenform dynamischer aussieht, aber einem die anderen vom klang her dynamischer vorkommen. ja ja, komprimieren macht so viel spass! ich hab die arbeitsweise von komps auch erst durch das rumprobieren verstanden. praxiserfahrung sammeln durch probieren ist besser als blosse theoretische berechnung. viel spass, alex
ps: komisch, auch in diesem forum gibts viele alexe
JonnySun
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Beitrag von JonnySun »

Auch ein gutes Argument, warum Anzeigen "für die Katz" sind beim Kompressor :wink:

Wie sagte mein Physik-Lehrer immer: "Wer misst, misst Mist" :P
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mollybär

Beitrag von mollybär »

Manchmal kann es auch Sinn machen, den 4000 Euro Kompressor einfach mal stehn zu lassen und zu Fuß zu gehen. Bei einer Snare kann man zb im Sample-Editor das Signal abschneiden, so dass nur noch die Transiente dasteht (wird meines Wissens bei Triphop oft gemacht). Damit wird die Dynamik auch begrenzt und die Snare ist schlank und womöglich trotzdem sehr präsent (statt (com)presswurstmäßig dick.)
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bleibmoritztreu
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Beitrag von bleibmoritztreu »

naja so krass würd ich das alles jetzt auch nicht sehen... klar geht die bewertung dessen was man da schraubt über die ohren. aber ich überlege mir doch schon bevor ich den kompressor überhaupt einschleife, was ich damit überhaupt bezwecken will (dynamik eingrenzen, transienten hervorheben, ausklingphase hervorheben, "sound machen", fx, ...) und habe auf basis davon schon einigermaßen eine vorstellung von dem was ich da einstellen muss.

wenn ihr eine snare etwas präsenter kriegen wollt werdet ihr doch wohl auch nicht in die richtung rumprobieren den threshold -5db, ratio 1:1,2, attack 0ms und dann verzweifelt an der release drehen, bis das gewünschte ergebnis kommt ;) ich denke ein bisschen steckt - wenn auch unterbewusst - schon immer dahinter. auch wenn man die genaue technische funktion eines reglers kennt, weiß man wahrscheinlich über seine klanglichen auswirkungen bescheid. so völlig ins blau schrauben ist doch gerade bei einem kompressor (ich meine alles was mehr regler hat als der SSL LMC-1 ;) ) eher die suche nach der nadel im heuhafen...

lg
jirka

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mollybär

Beitrag von mollybär »

Es gibt ja nebenbei noch die Möglichkeit, dass die Anzeige einfach nicht korrekt oder zu träge ist. Gerade bei so Vintagedingern wirken die Anzeige ja schon äußerlich von der Mechanik her ziemlich träge (Besitze selbst keine solchen Geräte.)
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Steven_C
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Beitrag von Steven_C »

mollybär hat geschrieben:Es gibt ja nebenbei noch die Möglichkeit, dass die Anzeige einfach nicht korrekt oder zu träge ist. Gerade bei so Vintagedingern wirken die Anzeige ja schon äußerlich von der Mechanik her ziemlich träge (Besitze selbst keine solchen Geräte.)
Normalerweise ist es doch bei den meisten "Vintagedingern" (ich glaube, Du meinst Geräte mit Drehspulanzeige) so, dass die Abintegrationszeit für die Gain-Reduction-Anzeige recht lange gewählt wird. Somit läuft die Anzeige durch Massenträgheit ein wenig nach, zeigt aber normalerweise korrekt an.

Lg,
SC
mollybär

Beitrag von mollybär »

@steven c

Wenn ich zB ich nur eine Bassdrum auf 1,2,3,4 habe, könnte es dann nicht sein, dass die Anzeige nicht ganz auf null zurückgeht, nur weil sie nicht schnell genug ist ? Dann würde sie ja die Gainreduktion falsch anzeigen. Also ich würde die Gainreduktion eher an der Mixeranzeige der entsprechenden Spur ablesen.
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